Sonntag, März 17, 2024

Amöbenruhr – Amöbiasis: weltweite Bedrohung

Ein Großteil der Weltbevölkerung lebt in Gebieten mit Amöbenruhr, auch Amöbiasis genannt. Es werden ca. 50 Mio. Neuinfektionen mit ca. 70.000 Todesfällen pro Jahr angenommen.

Im Grunde genommen sind die Amöbenruhr, die invasive Amöbenkolitis sowie das Amöbenleberabszess zwar keine sehr häufigen Erkrankungen. Allerdings sind es potenziell lebensbedrohliche Erkrankungen bei Tropenrückkehrern beziehungsweise Reisenden in Ländern mit niedrigem sozioökonomischen Standard. Amöbenruhr wird auch als Amöbiasis bezeichnet und verläuft häufig asymptomatisch. Dabei schwanken die Symptome von leichtem Durchfall bis hin zu schwerer Dysenterie. Jedenfalls verursacht Entamoeba histolytica – der einzellige Parasit, der die Amöbenruhr auslöst – die vierthäufigste parasitäre Sterblichkeit bei Menschen.

Zur Prophylaxe der Amöbenkolitis und Abszesse sowie bakterieller Durchfälle und vieler weiterer Tropenerkrankungen ist die Trinkwasserhygiene sehr wichtig. Und zwar indem man nur durchgekochte bzw. selbstgeschälte Nahrungsmittel einnehmen. Es gilt das Motto »cook it, peel it, boil it or forget it«. Schließlich könnte die Verbesserung der Wasserhygiene- und Hygienepraktiken das Auftreten von Amöbiasis verringern. Bislang gibt es zwar keine Zulassung für einen Impfstoff gegen Amöbiasis. Allerdings gibt es vielversprechende Ergebnisse aus Studien.

 

Entamoeba histolytica und Amöbenruhr

Der Erreger von Amöbenruhr und Amöbenabszessen ist das pathogene Protozoon Entamoeba histolytica. Davon unterschieden werden lichtmikroskopisch indifferente apathogene Amöbenspezies, v.a. Entamoeba dispar. Entamoeba histolytica macht einen Entwicklungszyklus durch, die Infektion erfolgt durch sehr widerstandsfähige vierkernige Zysten, die sich innerhalb des Darmes zu vegetativen Formen (Trophozoiten) umwandeln.

Bei den vegetativen Stadien gibt es nichthämatophage »Minuta-For­men« als Kommensalen im Dick­darmlumen, gelegentlich kommt es zur Ausbildung schleimhautinvasiver, hochpathogener, hämatophager »Magna-Formen«, die in weiterer Folge hämatogen in andere Organe verschleppt werden können. Bei enteraler Ausscheidung der vegetativen Formen erfolgt die rasche Umwandlung in resistente Zysten.

 

Übertragung von Amöbenruhr

Die Infektion mit Amöbiasis erfolgt über Wasser, kontaminierte Lebensmittel (insbesondere kopfgedüngte Salate/Gemüse), Schmierinfektionen. Es ist nur eine sehr geringe Zystenmenge zur Infektion nötig. Selbst Insekten (Küchenschaben, Fliegen) können eine Kontaktübertragung auf Lebensmittel bewirken.

Hervorgehoben werden muss eine sehr hohe Resistenz der infektiösen Zysten in der Umwelt. Denn die Zysten können monatelang extrakorporal überleben. Auch eine Chlorierung des Trinkwassers bietet keinen sicheren Schutz vor Infektionen mit Amöben.

 

Intestinale Amöbiasis

Nach peroraler Infektion mit Entamoeba histolytica unterscheidet man verschiedene gastrointestinale Erscheinungsformen. Dabei bestehen zwischen diesen fließende Übergänge. Einerseits sind der größte Teil der Infizierten Zystenausscheider ohne Erkrankung. Außerdem treten häufig geringe unspezifische gastrointestinale Symp­tome auf. Oder auch selbstlimitierende, milde, afebrile Durchfälle ohne Blutbeimengung.

Das Vollbild der Amöbenruhr beziehungsweise der invasiven Amöbenkolitis mit gelegentlich sogar lebensbedrohlichen Komplikationen ist insgesamt selten. Besonders anfällig sind Menschen, die einen schlechten Ernährungs- und Gesundheitszustand. Oder deren zelluläre Immunität beeinträchtigt ist. Und zwar insbesondere durch die Kortisontherapie.

Schließlich können in Einzelfällen anhaltende chronisch rezidivierende Durchfälle über viele Monate, manchmal sogar Jahre, bestehen. Die Inkubationszeit beträgt übrigens 1 bis 2 (manchmal bis 4) Wochen, wobei das sehr variabel ist.

 

Klinik bei Amöbenruhr

Unter dem Strich treten bei Amöbenruhr typischerweise Durchfälle auf. Diese sind meist breiig, wobei Schleimbeimengungen, Blutbeimengungen bzw. Auflagerungen möglich sind sowie krampfartige Bauchschmerzen auftreten können. Häufig entwickeln sich die Beschwerden langsam und werden stärker.

Allerdings sind akut einsetzende bis zu mehrmals stündliche, wässrige, spritzende Durchfälle eher untypisch. Denn diese kommen eher beispielsweise bei bakteriellen Durchfallserkrankungen vor. Bei leichteren Verläufen besteht oft nur mäßig beeinträchtigtes Allgemeinempfinden und es tritt meist keine relevante Dehydratation auf. Oft werden allenfalls gering fieberhafte Temperaturen beobachtet. Hingegen sind septische Fieberschübe mit Schüttelfrost meist bereits ein Hinweis auf Komplikationen. Bei längeren Verläufen kann es zu Gewichtsabnahme kommen.

 

Diagnose bei Amöbenruhr

Grundlage der Diagnose bei Amöbenruhr sind neben der Klinik epidemiologische Hinweise, insbesondere die Reiseanamnese. Die Stuhluntersuchung, insbesondere die Mikroskopie durch ein erfahrenes Labor, wobei die Amöben-Zysten und selten in frischem Stuhl auch Trophozoiten gesehen werden, bestätigt die Diagnose.

Mit einem Stuhlantigentest kann zwischen der pathogenen E. histolytica und apathogenen E. dispar bzw. E. moshkovskii differenziert werden, ein weiterer Vorteil besteht in der Anwendbarkeit auch durch in Stuhlmikroskopie unerfahrene Labore und einer teilweise höheren Sensitivität als der mikroskopische Erregernachweis. Es muss beachtet werden, dass häufig mehrfache Stuhluntersuchungen – mindes­tens drei Stuhlproben von unterschiedlichen Tagen! – zum Erregernachweis nötig sind.

Eine einmalig negative Stuhluntersuchung schließt eine intestinale Amöbiasis keineswegs aus. Bei invasiver Amöbenkolitis ist die Entamoeba histolytica-Serologie hilfreich: IHA (indirekter Hämagglutinationstest), weiters IFT (Immunfluoreszenztest), ELISA (enzyme linked immunosorbent assay). Die Serologie wird ca. eine Woche nach invasiver Infektion positiv, bleibt dann meist niedrig positiv für Jahre.

In Endemiegebieten ist deshalb eine positive Serologie nur beschränkt aussagekräftig. Gelegentlich – v.a. bei ungenügender vorangegangener Anamneseerhebung – wird die Diagnose Amöbenkolitis auch koloskopisch/bioptisch gestellt.

 

Differenzialdiagnose

Bakterielle Durchfallerkrankungen, Campylobacter und Salmonellenenteritis, bakterielle Amöbenruhr / Shigellose können neben epidemiologischen und klinischen Hinweisen durch Stuhlkultur unterschieden werden, Giardia lamblia durch Stuhlmikroskopie bzw. Antigentest.

Differenzialdiagnostisch in Frage kommt weiters u.a. insbesondere ein erstmaliger Schub einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung. Die vital bedrohlichste und damit allerwichtigste Differenzialdiagnose jeder fieberhaft verlaufenden Erkrankung nach Tropenaufenthalt ist natürlich die Malaria, die auch bei einer völlig eindeutigen anderen Diagnose immer durch mehrfache mikroskopische Blutuntersuchung ausgeschlossen werden muss!

 

Komplikationen

Die invasive Amöbenkolitis kann manchmal einen schnellen und heftigen (fulminanten) Verlauf nehmen. Und zwar mit Austrocknung des Körpers durch den starken Flüssigkeitsverlust (Exsikkose), Elektrolytverlust, zu niedriger Blutdruck (Hypotension) eventuell verbunden mit prärenalem Nierenversagen. Eine fulminante Kolitis ist jedoch selten, da meist keine massiven wässrigen Durchfälle auftreten.

Gar nicht so selten bilden sich hingegen tiefe Ulzerationen (»Flaschenhalsulkus«) der Dick­darmwand aus. Infolge können Blutungen aus Geschwüren (Ulzerationen) auftreten. Schwerwiegend selten eine Kolonperforation mit konsekutiv akuter Peritonitis, häufiger allerdings gedeckte Ulkus­perforationen. In Einzelfällen entwickeln sich bei schwerer invasiver Amöbenkolitis ein toxisches Megacolon mit Paralyse, auch eine Durchwanderung mit unter Umständen zuerst schleichend beginnender Peritonitis kann vorkommen.

An Spätfolgen sind Fistelbildung, z.B. rektovaginal und (post-)entzündliche Dickdarmstenosen, die u.U. in weiterer Folge eine OP-Indikation darstellen, möglich. Weiters werden granulomatöse, tumorartige, so genannte »Amöbome« des Kolons beschrieben, diese können gelegentlich Auslöser eines mechanischen Ileus sein, oft wird die Fehldiagnose Kolonkarzinom gestellt, durch antiparasitäre Therapie kann meist eine langsame Rückbildungen der Amöbome erreicht werden.

 

Therapie

Metronidazol ist das Mittel der Wahl bei intestinaler Amöbiasis, es sind keinerlei Resistenzen bekannt. Kontraindikationen für Metronidazol sind Schwangerschaft, weiters z.B. Epilepsie. Gelegentlich treten gastrointestinale und zentralnervöse Nebenwirkungen auf, hingewiesen werden muss auf Alkoholunverträglichkeit.

Da Metronidazol nicht im Dickdarmlumen gegen Amöben-Zysten wirksam ist, ist zur Rezidivprophylaxe eine Anschlussbehandlung mit Diloxanidfuroat oder Paromomycin, beides nicht resorbierbare Antibiotika, wichtig.

 

Amöbenabszesse

Unter dem Strich treten Amöbenabszesse durch hämatogene Verschleppung intestinaler vegetativer Amöbenformen auf. Allerdings können Amöbenabszesse häufig auch ohne vorbestehende oder anamnestisch erhebbare Amöbenkolitis auftreten. Manchmal auch in deutlichem Abstand (gelegentlich bis zu mehrere Jahren!) zur Amöbenkolitis bzw. zum Auslandsaufenthalt!

Primär erfolgt die Absiedelung über das portalvenöse System in die Leber. Betroffen sind v.a. Erwachsene, überwiegend Männer.

 

Amöbenleberabszess

Der Amöbenleberabszess verursacht zu Beginn ist häufig akut Fieber und Schmerzen. Und zwar vor allem Druckschmerz im rechten Oberbauch mit eventueller Ausstrahlung in die rechte Schulter. Wobei gelegentlich bei fortgeschrittenen Verläufen Ikterus auftritt.

Es gibt jedoch nicht selten auch verzögerte (protrahierte) Verläufe mit allenfalls geringem Fieber und wenig Schmerzsymptomatik. Einerseits ist es weiterhin allgemein akzeptierter Konsens, dass der Amöbenleberabszess eine sehr ernste Erkrankung darstellt. Andererseits ergaben neuere Untersuchungen in Endemiegebieten (mittels Ultraschallscreening), dass die Erkrankung oft auch von selbst wieder weggeht.

 

Diagnose

Im Grunde genommen stellt die Bildgebung zusätzlich zur Klinik einen Eckpunkt der Diagnostik dar. Und zwar neben einer eventuellen Vorgeschichte einer intestinalen Amöbenerkrankung oder zumindest einer entsprechenden Reiseanamnese. Dabei sieht man im Ultraschall der Leber eher nur vereinzelte (singuläre) Abszesse mit unscharf begrenztem Abszessrand. Und zwar in bis zu 90% der Fälle im rechten Leberlappen.

Eine positive Serologie bestätigt die Diagnose. Die Stuhluntersuchung auf Entamoeba histolytica-Zysten ist zum Zeitpunkt des Auftretens eines Amöbenleberabszesses oft negativ!

Zur Differenzialdiagnose sollte man vor allem an bakterielle Leberabszesse denken (gelegentlich auch Echinokokkuszysten und Neoplasien).

 

Komplikationen

Die Zystenruptur ins Bauchfell (Peritoneum) stellt die häufigste Komplikation dar. Gelegentlich kommt es danach zu einer Durchwanderung in andere benachbarte Strukturen. Und zwar insbesondere ins Brustfell (Pleura). Im Übrigen kann die weitere Verbreitung über das Blut (hämatogene Streuung) vor allem einen Lungenabszess oder Hirnabszess verursachen. Dies sind die folgenschwersten Komplikationen des Amöbenleberabszesses.

 

Therapie

In der Regel erfolgt eine Monotherapie mit Metronidazol. Dabei sollte man nicht auf die Bestätigung durch die Serologie warten, sondern bei begründetem Verdacht gleich mit Metronidazol-Therapie beginnen!

Bei differenzialdiagnostisch relevanter Wahrscheinlichkeit eines bakteriellen pyogenen Abszesses sollte vorerst zusätzlich ein im gramnegativen Bereich gut wirksames Antibiotikum nach Abnahme von Blutkulturen hinzugefügt werden.

Eine Abszesspunktion ist (im Gegensatz zu bakteriellen Abszessen) nur bei Rupturgefahr indiziert! Erwähnenswert ist, dass die radiologische Rückbildung der Amöbenleberabszesse dem klinischen Verlauf oft deutlich hinterherhinkt, selbst anfängliche Größenzunahme unter adäquater Therapie ist möglich.

 

Asymptomatische Zystenausscheider

Diese müssen generell und außer in Endemiegebieten, wo eine umgehende Reinfektion wahrscheinlich ist, sehr konsequent mit Diloxanidfuroat oder Paromomycin therapiert werden. Und zwar aufgrund der Gefahr der Entwick­lung einer invasiven Amöbenerkrankung. Insbesondere Amöbenleberabszess und zur Verhinderung der weiteren Übertragung etwa an Familienmitglieder.


Literatur:

Santos HLC, Rebello KM. An Overview of Mucosa-Associated Protozoa: Challenges in Chemotherapy and Future Perspectives. Front Cell Infect Microbiol. 2022 Apr 25;12:860442. doi: 10.3389/fcimb.2022.860442. PMID: 35548465; PMCID: PMC9084232.

George Mathew; Shawn Horrall. Amebiasis. StatPearls [Internet]. Last Update: January 7, 2022.

Li J, Cui Z, Li X, Zhang L. Review of zoonotic amebiasis: Epidemiology, clinical signs, diagnosis, treatment, prevention and control. Res Vet Sci. 2021 May;136:174-181. doi: 10.1016/j.rvsc.2021.02.021. Epub 2021 Feb 27. PMID: 33676155.


Quelle: Amöbiasis – Amöbenruhr. Dr. Dieter Buchinger. MEDMIX 6/2007.

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